Wie man merkt, dass man angekommen ist? Vielleicht darn, wenn man in über zwei Wochen nicht ein einziges Mal dazu kommt, einen Blog zu schreiben. Vielleicht auch daran, wenn man als Fernseh-süchtige Person den Fernseher tagelang nicht einschaltet. Vielleicht aber auch, wenn man sich über einen Bahnstreik nicht aufregt, sondern ihn einfach hinnimmt, nicht mehr von Pizza, Pasta oder Plastikhandschuhen fasziniert ist, sondern tiefer blickt und versucht, den italienischen Staat zu verstehen oder auch einfach, wenn man plötzlich, ohne es zu merken, italienisch isst.
In letzter Zeit war ich mit Allem und Nichts beschäftigt, was nicht nur zur Folge hatte, dass ich meinen Blog hier sträflich vernachlässigt habe, sondern auch, dass ich wohl hier in Italien angekommen bin. Das macht sich nicht nur durch nicht-vorhandene Blog-Einträge bemerkbar, sondern auch an anderen Dingen. Nein, ich will nicht sagen, dass ich mich jetzt italienisch fühle oder gar italienisch bin, aber es hat sich doch einiges getan, seit ich hier angekommen bin Die Phase, in der man es noch als etwas besonderes empfand, einen caffè in einer bar zu trinken, ist inzwischen vorbei und es hat doch eine gewisse Anpassung und eben Eingewöhnung stattgefunden. Die folgenden Beschreibungen sollen keinerlei Wertung abgeben, sondern ganz einfach schildern, wie ich hier im Moment in Italien lebe - und das durchaus zufrieden:
Mein Handy ist mein Freund. Es liegt inzwischen auch bei mir des Öfteren direkt neben meinen Kugelschreiber und Block, wenn ich in der Uni bin und falls nicht, kontrolliere ich spätestens alle 15 Minuten, ob ich wichtig war oder stelle es auf Vibration ein und trage es in meiner Hosentasche. Dazu kommt, dass sich meine SMS-Versandrate enorm gesteigert hat und ich auch schon mal SMS mit nur zwei Worten Inhalt oder im 5-Minuten-Takt versende. Leisten kann ich mir diesen Spaß dank meiner Super-Zusatz-SMS-Option, mit der ich 100 SMS pro Tag an den gleichen Anbieter versenden kann und das für gerade mal €6 im Monat. Es versteht sich von selbst, dass ich Freunde, die einen anderen Anbieter gewählt haben, von den Vorteilen meines Netzbetreibers überzeuge, um dann noch mehr SMS verschicken zu können. Zu meinem italienischen Handy-Glück fehlt mir also nur noch eine gesteigerte Anrufrate - aber da kommt halt dann doch der sparende Schwabe in mir durch, der lieber umsonst eine SMS versendet, als für ein Telefonat zu zahlen.
Ja, es ist passiert - und ich gestehe, ich war es ganz allein und ich nehme alle Schuld auf mich. Mein Fernseher leidet nur wegen mir unter sträflicher Vernachlässigung. Und ich gebe zu, ich habe es sogar so weit getrieben, dass er fünf ganze Tage am Stück nicht eingeschalten wurde. Aber ich gelobe Besserung und habe ihn als Wiedergutmachung auch schon zur Hintergrundberieselung angeschalten. Bald, schon bald werde ich noch einen weiteren Schritt auf ihn zugehen und bewusst ein Programm anschauen. Ich hoffe, er kann mir verzeihen und sein Trauma überwinden.
Schließlich ist dieses fernsehfreie Verhalten absolut unitalienisch. Da habe ich solange darauf trainiert, wenigstens in einem Punkt schon vor meiner Ankunft absolut italienisch zu sein und den Fernseher immer und immer laufen zu lassen und dann so ein Rückschritt...aber gut, immerhin habe ich die Zeit durch andere absolut italienische Beschäftigungen ausgefüllt - so meist mit aperitivi einnehmen, caffè trinken, gemeinsam essen und chiacchierare, das von den Italienern geliebte miteinander Plaudern.
Sonntag Morgen, ich renne zum Bahnhof in Forlì. Gerade habe ich mich von meiner Freundin verabschiedet, die ich hier in der Emilia-Romagna besucht habe und versuche nun bei starkem Regen möglichst schnell den Bahnhof zu erreichen, um die Heimreise anzutreten. Während ich da also Richtung Bahnhof laufe, hoffe ich auf die angebliche und daher berühmt berüchtigte Unpünktlichkeit der italienishcen Bahn, damit ich es noch schaffe, rechtzeitig am Bahnhof anzukommen und dann auch noch ein Ticket kaufen und in den Zug hüpfen zu können. Und falls diese angebliche Unpünktlichkeit der italienischen Bahn dann doch versagen sollte, hilft mir ja vielleicht der heute stattfindende Streik, der sicherlich ein bisschen Verspätung und auch den ein oder anderen ausgefallenen Zug hervorbirngen wird.
Am Bahnhof angekommen, gibt es meinen Zug nicht (mehr). Also eine Stunde warten,auf den nächsten Zug...der ist zwar mit einem SOPP versehen, aber was macht das schon. Ich stelle mich also am Schalter an und bitte, als ich schließlich dran kommen, die Dame am Schalter um ein Ticket nach Trieste - wohl gemerkt eine 6 Stunden Reise mit zweimaligem Umsteigen. Freundlich erklärt sie mir, dass ich es heute wohl nicht einmal bis in das eine gute 50 Minuten Zugfahrt entfernte Bologna schaffe, denn SOPP bedeutet - fällt aus wegen Streik.
Statt mich aufzuregen und einen inneren wutentbrannten Monolog zu halten, wie dass denn möglich sei, dass hier einfach so gestreikt wird und es doch nicht möglich sein kann, dass ich gar nicht weiter kommen kann, verlängere ich meinen Aufenthalt in Forlì um einen Tag, wodurch ich nicht nur Bologna nich besichtigen kann, sondern auch meinen Italienisch-Kurs am nächsten Tag verpasse, meiner Freundin unverhofft einen weiteren Tag mit mir beschere, obwohl sie am nächsten Tag ein Prüfung hat und gehe zufrieden in die bar, um einen caffè zu trinken und dann zurück zu meiner Freundin, um den Abend damit zu verbringen, mit ihren italienischen Mitbewohnerinnen eine italienische Schlagershow anzuschauen.
9.11.2009 -20 Jahre Mauerfall, was für ein Tag. Und wir Deutschen hier in Italien...doch auch die Italiener messen diesem Tag große Bedeutung bei, so dass wir, eine kleine Gruppe Deutscher uns aufmachen, um Abends dem Vortrag eines deutschen, überaus bekannten, wenn auch kontrovers diskutierten Geschichtsprofessor namens Ernst Nolte zu lauschen. Durch die Bekanntschaft mit unserem italienischen Erasmus-Papa, der Triestiner Legende Professore Pilotto, werden wir Herrn Nolte vor seinem Vortrag auch noch persönlich vorgestellt. Doch vor dem Vortrag werden wir Deutschen auch Augenzeugen der italienischen Politikverhältntisse:
Just bei der Vorstellung von Herrn Nolte, erhebt sich ein Gruppe von links-gerichteten Studenten, die sich in die Zuschauermenge gesetzt hat und ihre Meinung gegenüber Herrn Nolte und der italienischen Rechten mit "Schäm dich, Nolte" und "Nazis raus"- Rufen sowie einer Wasser-Plastikbecher-Attacke auf Herrn Nolte Ausdruck verleiht. Die Rechte wehrt sich durch einen permanent ins Mikro schreienden Was-auch-immer-Vorsitzenden, Gegenrufen und geschlossenem Klatschen für Herrn Nolte. Mitten in diesem Tumult sitzt eine Reihe junger, meist deutscher Studenten, die zunächst vollkommen überrascht ist und dann nicht weiß, was sie von dem Ereignis oder aber auch von Herrn Nolte denken soll.Nach zehn Minuten sind die Linken gegangen und der Vortrag beginnt.
Morgens halb 9 in Italien. Wir betreten die bar, bestellen uns einen caffè macchiato und eine brioche, bevor wir weiter in die Uni ziehen.
12 Uhr Mittags - die Frisur hält - mache ich mich auf den Weg nach Hause, um mir mein pranzo (Mittagessen) zu kochen- was sollte es anderes sein als ein Teller Pasta. Die Zeit vergeht und schons sitze ich Abends um 8 in einer aperitivi bar, trinke meinen spritz aperol und esse die dazu gerreichten Pizza Stückchen. Schließlich um 9.30 Abends, wieder zu Hause angekommen, die Haare trotz super-strong-Haarspray inzwischen leicht durcheinander, bereite ich mir ein kleines cena (Abendessen) vor, Gemüse mit Brot. Und schon ist es passiert. Ich habe ein komplett italienisches Essverhalten an den Tag gelegt, ohne mich dafür anzustrengen.
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